Sonderausstellung: Erster Weltkrieg
Die Kriegserlebnisse des Günzburgers Franz Keller
Der Erste Weltkrieg scheint uns weit entfernt. Und nach mehr als 70 Jahren Frieden so unwirklich fremd und abstrakt. Angezettelt wurde der Krieg vor 104 Jahren von mehr oder minder größenwahnsinnigen und realitätsfernen Herrschern, vor 100 Jahren ist er zu Ende gegangen. Millionen von Toten, ungezählte körperlich und seelisch auf Dauer Geschädigte waren die Folge. Die Zahlen sind so monströs, dass sie kaum fassbar sind. Wer gibt dem Ersten Weltkrieg, der Ursünde des 20. Jahrhunderts, ein Gesicht? Einer von ihnen ist der Günzburger Franz Keller. Mit 19 Jahren musste der spätere Lehrer und Schulleiter in den Krieg ziehen. Mit Fotos, Zeichnungen, Zeitungsausschnitten, Feldpostbriefen und autobiografischen Aufzeichnungen hat er die Schrecken des Krieges dokumentiert. Zu sehen ist das bis 2. Dezember in einer beeindruckenden Sonderausstellung im Günzburger Heimatmuseum.
Franz Kellers Sohn Rudolf hat das dokumentarische Vermächtnis seines Vaters, geboren 1895 und gestorben zu Beginn der 1960er Jahre, dem Historischen Verein Günzburg vermacht. Aus dem umfangreichen Fundus hat das Ehepaar Barbara und Leonhard Grüner aus Wasserburg die neue Sonderausstellung im Heimatmuseum zusammengestellt.
Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen – von den ersten fotografisch festgehaltenen Exerzierübungen des jungen Franz Keller auf der Münchner Theresienwiese bis zu den vollen Günzburger Lazaretten gegen Ende des Krieges. Franz Keller hatte Glück im Unglück. Schon 1915, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges, war er an der Front in Nordfrankreich in britische Gefangenschaft geraten. Zunächst galt der Lehrerseminarist als verschollen, wenig später tauchte er sogar in den Listen der Gefallenen auf. Die Eltern hatten in Günzburg schon Totenmessen lesen lassen.
Anfang Mai 1915 dann die Erlösung. Franz Keller durfte den Eltern aus der Gefangenschaft mitteilen, dass er am Leben sei. Der Günzburger Lokalzeitung war das, wie in der Ausstellung zu sehen, eine freudige Mitteilung wert. Über die Jahre hatte Franz Keller unter anderem Fotos gerettet, die das Leben der deutschen Soldaten im Lager des englischen Städtchens Handforth zeigen – bei der Gartenarbeit oder den Proben in der Theatergruppe.
Im Kontrast zu den propagandistischen Erfolgsmeldungen von der Front stehen die Fotos von den Lazaretten in Günzburg – im Institut der Englischen Fräulein, im städtischen Krankenhaus und der Privatklinik Dr. Schlaegel. Der Krieg fand auf deutschem Boden nicht statt, seine verheerenden Folgen waren zunächst kaum spürbar. Am Ende gab es kaum noch eine Familie, die nicht Väter, Ehemänner, Söhne oder Brüder verloren hatte.
Deutschland, so hieß es, habe den Krieg nicht verloren. Ungeschlagen auf dem Feld, hinterrücks verraten von vaterlandslosen Gesellen. Die Dolchstoßlegende war erfunden. Am Ende des Krieges mussten die Heerscharen gestrandeter deutscher Soldaten demobilisiert werden. In Günzburg rückte Mitte Dezember 1918 das 12. Bayerische-Infanterie-Regiment ein. Pferde und Kriegsgerät wurden auf dem Schlossplatz versteigert. Angesichts der Propaganda kein Wunder: Dort, wo einst das Obere Stadttor stand, wurde den Soldaten zum ruhmreichen Empfang eine Ehrenpforte errichtet, flankiert von zwei lebensgroßen Löwen aus Gips. Auch diese beiden Skulpturen sind in der Ausstellung zu sehen.
Franz Keller war ein weiteres Mal das Glück hold. Im November 1918 war er aus britischer Gefangenschaft entlassen worden – nur wenige Tage vor der Hochzeit seiner Schwester. Die Ausstellung im Heimatmuseum Günzburg ist ein sehenswertes Portrait der Zeit vor rund 100 Jahren – von der nationalistischen Ekstase bis zum bitteren Ende.
Die Ausstellung „Erster Weltkrieg 1914-1918 – Die Kriegserlebnisse des Günzburgers Franz Keller“ ist bis 2. Dezember jeweils samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr im Günzburger Heimatmuseum, Rathausgasse 2, zu sehen.
Von Walter Kaiser