Forschungsprojekt: Wer waren die ersten Günzburger?
Großes wissenschaftliches Forschungsprojekt: Wer waren die ersten Günzburger?
Es ist ein rares wissenschaftliches Privileg – Günzburg ist Teil eines großen Forschungsprojekts. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen werden in den kommenden Jahren der Frage nachgehen: Woher kamen die Menschen, die von etwa 50 nach Christus bis circa 150 nach Christus im Raum Günzburg, dem antiken Gontia, gelebt haben? Anders gefragt: Wer waren die ersten Römer bzw. die ersten Günzburger? Die Forschungsarbeiten haben erst begonnen. So viel aber steht schon fest: In Gontia lebte ein buntes Völkergemisch. Migration ist kein Phänomen der Neuzeit.
Ideale Forschungsbedingungen: Größtes Römisches Gräberfeld Süddeutschlands in Günzburg
Archäologisch betrachtet ist Günzburg ein Glücksfall. Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahrhunderten in alle Himmelsrichtungen ausgedehnt – nur nicht nach Westen. Das römische Gräberfeld an der Ulmer Straße Richtung Leipheim ist deshalb bis in die jüngere Zeit nicht überbaut und beschädigt worden. Mehr als 1800 Gräber aus antiker Zeit konnten in den vergangenen Jahrzehnten gefunden und geborgen werden – Günzburg darf sich des größten, nach modernen Gesichtspunkten dokumentierten römischen Gräberfeldes in Süddeutschland rühmen. Ideale Voraussetzungen für ein großes Forschungsprojekt.
Spuren einer „einheimischen“ Bevölkerung aus jener Zeit sind im Raum Günzburg kaum zu finden. In den letzten 50 Jahren vor Christi Geburt ist die Kultur der Kelten weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Als die Römer im ersten Jahrhundert nach Christus allmählich bis zur Donau vordrangen, haben sie an der Günzmündung „jungfräulichen Boden“ betreten, wie Prof. Wolfgang Czysz in seinem Buch „Gontia – Günzburg in der Römerzeit“ schreibt.
Gontia war melting pot
Wer also hat in Gontia gelebt, nachdem die Römer gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus ein großes Militärlager errichtet hatten? 1000 Mann einer Reitereinheit mit dem Namen „ala II Flavia pia fidelis milliaria“ waren im Kastell Gontia stationiert. Es war die größte Militäreinheit jener Zeit im heutigen Bayern. Erste Indizien wie Grabsteine oder Ehreninschriften und darin verewigte Namen belegen, dass die Soldaten von weither gekommen waren – aus Nordafrika, Spanien, Gallien, Italien und Griechenland. Auch Germanen waren unter ihnen. „Es war eine bunte Mischung“, erklärt Dr. Martin Grünewald, der mit den wissenschaftlichen Arbeiten für das Forschungsprojekt betraut ist. Gontia war nach seinen Angaben ein „melting pot“, ein Schmelztiegel von Menschen unterschiedlichster Herkunft.
Mulit-kulti mit mediterraner Prägung
Die römischen Soldaten waren nicht allein gekommen. In ihrem Gefolge befanden sich Frau oder Freundin, sicher auch Kinder. Ferner Handwerker und Händler. Sie lebten in der um das Kastell erbauten Zivilsiedlung. Woher aber stammten diese Menschen? Nähere Aufschlüsse soll das erwähnte Forschungsprojekt erbringen. Mit der Nahrung und dem Trinkwasser wird Strontium aufgenommen und früh in Knochen und Zähnen abgelagert. Mit der Isotopenanalyse lässt sich bestimmen, wo ein Mensch in jungen Jahren gelebt, welche landestypischen Lebensmittel er gegessen und welches Wasser er in welcher Region getrunken hat. Anhand solcher Daten lässt sich ermitteln, wo die in Gontia beerdigten Menschen dereinst aufgewachsen waren.
Was die einstmals bunte Vielfalt der Menschen betrifft, so Dr. Martin Grünewald, kann sich Günzburg mit großen Namen messen. Gontia war ähnlich „multi-kulti“ und mediterran geprägt wie die römischen Metropolen Köln, Trier, Kempten oder Augsburg. Ein weiterer Beleg für die herausragende Stellung Günzburgs in römischer Zeit. (kai)
Projekt der Deutschen Forschungsgesellschaft
Woher stammten die Menschen, die ab der Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus mit den Römern in den Raum Günzburg gekommen waren? Antworten soll ein großes Forschungsprojekt liefern. Das Projekt mit dem Titel „Gontia als melting pot – Die Zusammensetzung der kastellzeitlichen römischen Bevölkerung Günzburgs im Spiegel der Gräber. Ein Modell für Raetien“ wird organisiert vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Archäologischen Staatsammlung München und den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns. Finanziert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgesellschaft.
Von Walter Kaiser